Rudolf Innig – Fantasie über eine Improvisationsskizze (1890) von Anton Bruckner

Drei Präludien und Fugen

Drei Präludien und Fugen

 

 

 (30 Seiten, 15 €)

 

Im März 1890 begann Anton Bruckner in Wien zum zweiten Mal mit der Umarbeitung seiner ersten Sinfonie c-Moll, die er 1865/66 in Linz während seiner Zeit als Organist am Dom komponiert hatte. Bei der ersten Revision im Jahre 1877 hatte er sich auf Änderungen einzelner Stimmführungen im Autograph und eine Neuordnung der metrischen Ziffern beschränkt, mit deren Hilfe er eine wissenschaftliche Grundlage für die musikalische Architektur seiner Sinfonien gefunden zu haben glaubte...

Jetzt entschloss er sich dazu, die gesamte Partitur von über 200 Seiten nochmals neu zu schreiben, und er begann - wie vermutlich 25 Jahre zuvor in Linz - erneut mit dem letzten Satz der Sinfonie. Als der Hoforganist Anton Bruckner die Arbeit am Finale fast beendet hatte, erreichte ihn Mitte Juni der 'Wunsch von oben', bei der Hochzeit der jüngsten Kaisertochter am 31. Juli in Bad Ischl Orgel zu spielen...

Bruckners Improvisationsskizze aus dem Jahre 1890 ist heute mit ihren über 70 -wenngleich oft nur angedeuteten- Takten ein wichtiges Dokument, das interessante Einblicke in seine Improvisations- und Kompositionstechnik gibt. In der vorliegenden Fantasie geht es jedoch nicht darum, Bruckners Skizzen zu ergänzen oder seine Improvisation seinen Notizen entsprechend weiterzuführen.

Sie verbindet vielmehr die von ihm anfangs noch relativ genau notierte Orgelfassung der beiden Themen des Finales (T. 1-62) mit einer Transkription des Satzendes seiner Sinfonie c-Moll Nr. 1 (T. 95-183). Lediglich das Halleluja-Thema von Händel (T. 63-77) ist zu einer kleinen Fugato-Episode ausgeweitet, allerdings ohne die von Bruckner vorgesehene Wiederholung des Halleluja-Abschnittes (wie zuvor beim Hauptthema).

 

Nicht weniger bemerkenswert sind jedoch einige kompositionstechnische Details, etwa die Umkehrung des Hauptthemas in Takt 9 oder der lange Orgelpunkt auf der Dominante (T. 19- 28), über dem das rhythmisch verkürzte Thema in Sequenzierungen über zwei Oktaven melodisch absinkt. Dieselben Mittel wendet Bruckner später in der Coda an, dort auch in Verbindung mit vielfachen Wiederholungen einzelner Taktgruppen (zum Teil ohne thematischen Bezug) und einer Engführung des Hauptthemas in T. 154/155.

Auf dem Höhepunkt der immer wieder neu ansetzenden Abschnitte erscheint das Hauptthema in Takt 164 im dreifachen Fortissimo wie ein feierlicher Choral im Pedal. Hier beginnt eine im Vergleich zum Anfang umgekehrte Entwicklung: Während das Thema in Sequenzierungen über zwei Oktaven aufwärts steigt, hält die  berstimme orgelpunktartig an lange gehaltenen Spitzentönen fest.

(Dr. Rudolf Innig)