St. Peter und Paul Ratingen
Samstag, 10. Juni 2017, 12.00 Uhr
- Zur Erinnerung an Olivier Messiaen (1908–1992) -
Méditations sur le Mystère de la Sainte Trinité
Meditationen über das Geheimnis der Heiligen Dreieinigkeit
(1969)
II. Dieu est saint - (Gott ist heilig)
IV. Dieu est - (Gott ist)
VIII. Dieu est simple-Les Trois sont Un -
(Gott ist einfach - Die Drei sind Eins)
VI. Dans le Verbe était la vie et la lumière -
(Im Wort war das Leben und das Licht)
Orgel: Rudolf Innig
(www.rudolf-innig.de)
Auszüge aus den Erläuterungen Olivier Messiaens zur Langage Communicable und zu den im Konzert erklingenden Sätzen dieses Orgelzyklus
1. Die langage communicable
Die verschiedenen uns bekannten Sprachen sind in erster Linie Werkzeuge der Verständigung. Gewöhnlich ist die Stimme ihr wichtigstes Wesensmerkmal. Man kann sich aber auch sehr gut eine Sprache vorstellen, die auf Bewegungen, Bildern, Farben oder Düften beruht, und bekanntermaßen bedient sich das Braille-Alphabet des Tastsinnes. In allen Fällen muss man von vorausgegangenen Übereinkünften ausgehen. Man ist sich darüber einig, dass dieses durch jenes ausgedrückt werden soll. Musik hingegen drückt nichts unmittelbar aus. Sie kann beim Hörer ein Gefühl, eine Stimmung suggerieren oder auslösen, an Unbewusstes rühren, die Fähigkeit zu träumen vergrößern, und hierin liegt ihre ungeheure Macht: Sie ist aber völlig außerstande, etwas auszusagen oder genau zu informieren.
Wagner hat versucht, aus musikalischen Tönen eine langage communicable zu ersinnen. Auf diese Weise hat er das Leitmotiv geschaffen. Die Gesamtheit der Leitmotive im Ring der Nibelungen gleicht einem großartigen Fächer aus einfacheren und übergeordneten Begriffen: Er bringt die einzelnen Bestandteile und ihren Inhalt zu einer Art Schichtung: Ganz oben den Himmel mit dem Licht und den Göttern. Ganz unten, noch unter der Erde, die Nibelungen und die Nacht, dann das Feuer mit Loge, das Wasser mit den Rheintöchtern, zwischen Himmel und Erde die Walküren, auf der Erde Mann, Frau, Riesen, Drache, Vogel und genau in der Mitte der Held in seiner Stärke und Freiheit. Das ist begeisternd und oft wirkungsvoll. Und es beruht wiederum auf einer Übereinkunft: Denn die Hörer müssen unbedingt die Leitmotive vorher kennen lernen, um später deren Gegenüberstellungen, Überlagerungen, Variationen und Verwandlungen zu erfassen....
Trotz dieser erdrückenden großartigen Vorbilder... habe ich des spielerischen Reizes wegen und um mein Denken zu erneuern, versucht, eine musikalische Sprache zu erfinden, die mitteilend sein sollte. Anfangs habe ich ein musikalisches Alphabet machen wollen, mit dessen Hilfe ich Wörter übertragen könnte (einfach französische Wörter, weil ich Franzose bin). Da plötzlich fielen mir die Deutschen ein, die Noten nicht durch die Silben ut, re, mi, fa, sol, la, si ausdrücken, sondern durch Buchstaben, jene Buchstaben, die durch das Thema B A C H (der Namenszug Johann Sebastian Bachs) und die Themen A S C H und S C H A aus Schumanns Carnaval Unsterblichkeit erlangten. Dies sind die Buchstaben des deutschen Musikalphabets: A = la, B = si bémol, C = do, D = re, E = mi, F = fa, G = sol, und H = si bécarré. Man hat eine Erweiterung dieser Folge gesucht, aber weil sie nicht von allen akzeptiert war, habe ich sie lieber vergessen und mein eigenes Musikalphabet fortgeführt, indem ich die Buchstaben nach Arten der Lautbildung gruppierte. Darüber hinaus habe ich jedem Buchstaben einen Ton, eine Oktavlage und eine Dauer zugeordnet. Mit folgendem Ergebnis: (s. Notenbeispiele).
Um eine Worthäufung zu vermeiden, habe ich die Artikel, Pronomen, Adverbien und Präpositionen fortgelassen und nur Substantive, Adjektive und Verben beibehalten. Das hat mich dazu geführt, das 'Fälle - System' wie in den lateinischen Deklinationen zu benutzen. Und ich habe den jeweiligen Fall vor jedem Wort durch eine musikalische Wendung angegeben: (s Notenbeispiele).
Die beiden wichtigsten Begriffe allen Denkens, das, was wir sehr unvollkommen die Hilfsverben nennen: Sein – Haben, sind mit folgenden zwei genau gegenläufigen melodischen Wendungen ausgedrückt. Sein = absteigende Bewegung, denn Alles, was ist, kommt von Gott (dem Ur-Sein, dem, der ist): (s. Notenbeispiele) Haben= aufsteigende Bewegung, weil wir immer noch mehr haben können, wenn wir uns zu Gott erheben: (s. Notenbeispiele).
Weil ich einerseits die Wichtigkeit der Königsnamen in den altpersischen Keil-Inschriften erkannt hatte (Xerxes, der große König, Sohn des Königs Darios, des Archemeniden), und mir andererseits darüber klargeworden war, wie derartige Königsnamen (Ptolemäus, Kleopatra, Ramses, Tutmosis) von einer Kartusche umrahmt, Champollion das Geheimnis der ägyptischen Hieroglyphen preisgegeben haben, habe ich schließlich geglaubt, der Aufmerksamkeit des Hörers zugänglich machen zu müssen, was doch das einzig wichtige Wort jeglicher Sprache ist, jenes Wort, das nicht mehr nur der Name eines Königs, sondern der des Königs der Könige, der Name Gottes ist!
Ich habe ihn nicht mit einer Kartusche umgeben, aber ich habe ihn in einem vollständigen Thema (Wagner hätte es als Leitmotiv bezeichnet) genannt -ich habe ihn gestammelt- und um auszudrücken, dass Gott zugleich unendlich und ewig ist, ohne Anfang noch Ende im Raum wie auch in der Zeit, habe ich meinem Thema zwei Normen gegeben: eine Grundgestalt und deren Umkehrung, wie zwei Extreme, die sich ansehen und die man beliebig voneinander entfernen könnte ...(s. Notenbeispiele).
II. Dieu est saint - (Gott ist heilig)
Erstes Bild: Dieu est saint - Gott ist heilig. Dies wird ausgedrückt mit Hilfe eines gregorianischen Themas, des Allelujas zum Kirchweihfest. Diese Heiligkeit finden wir in Christus: "Denn Du allein bist der Heilige, Du allein der Herr, Du allein der Höchste: Jesus Christus" (Gloria des Ordinarium Missae). Dies wird ausgedrückt durch ein Farbenthema: Akkorde, die sich in einfaches Licht auflösen.
Gesang des Zaunkönigs.
Zweiter Teil des Christus Themas, das schließlich im ruhigen Licht einer Dominante innehält.
Dann setzen die Vögel wieder ein: die Schwarzdrossel, der Buchfink mit seinem Schnellerwerden, dem Triller in der Mitte und seiner nachdrücklichen kleinen Coda, dann ein langes Virtuosensolo der Gartengrasmücke.
Die Mönchsgrasmücke fügt ihren Refrain hinzu.
Zweites Bild: Die gleichen Bestandteile in derselben Reihenfolge, aber mit einer anderen Musik.
Coda: Das Alleluja zum Kirchweihfest, zuerst im Fortissimo, dann im Pianissimo. Am Ende hört man einen sehr einfachen Ruf, der in den folgenden Stücken wiederkehren und das gesamte Werk abschließen wird: Sehr entfernt, sehr hoch erklingen die wiederholten einfachen Töne und der durchdringende Schlusston der Goldammer.
IV. Dieu est - (Gott ist)
Alles, was wir von Gott wissen können, lässt sich in jenen so dichten und beinahe simplen Worten zusammenfassen: Er ist. Zwei Worte, deren Bedeutung wir nur in seltenen, kurzen Momenten der Erleuchtung erfassen, die Blitzen gleichen. Fast das gesamte Stück erzeugt eine Atmosphäre, die die Schlussvision vorbereitet. Die Fremdartigkeit der Klangfarben und der gewählten Vogelgesänge soll eine unbekannte Dimension hervorrufen.
Zuerst der außergewöhnliche Ruf des Schwarzspechtes, eine schnelle und disharmonische Klage, die man in den Wäldern der Vogesen, in den hohen Wipfeln der Lärchen und Fichten der Dauphiné-Alpen hört. Zwei weitere Ur-Rufe: das Warnen der Schwarzdrossel und das leichte, traurige Schlagen des Kauzes von Tengmalm (das ich im Jura aufgeschrieben habe). Getrillerte Cluster, ein kurzer Trio-Teil, der die drei Personen der Heiligen Dreieinigkeit evoziert, und ein langes Solo der Singdrossel mit seinen dreimal wiederholten Themen und einem Klangfarben- und Artikulationswechsel (Pizzicato, Wassertropfen; reißende Seide).
Plötzlich, gegen Ende des Stückes im Fortissimo der Orgel: Schnell fallenende Akkorde im jambischen Rhythmus: die Vision Moses. „Und ‘Ich bin’ ging an ihm vorüber und rief laut: ‘Ich bin! Ich bin!’"
Große Stille.
Der Kauz von Tengmalm entfernt sich und drückt aus, wie klein wir sind angesichts der unerträglichen Blendung des Heiligen.
VIII. Dieu est simple-Les Trois sont Un - (Gott ist einfach - Die Drei sind Eins)
Das 5. Stück meditierte über die Eigenschaften Gottes. Dabei fehlte das Eigenschaftswort, in dem alle übrigen zusammengefasst werden können: Gott ist einfach. Diese Einfachheit wird in dem gregorianischen Thema des Alleluja zu Allerheiligen ausgedrückt, schlicht und klar ohne Begleitung. Und um deutlich zu betonen, dass das Geheimnis der Heiligen Dreieinigkeit keinerlei Aufteilung innerhalb Gottes mit sich bringt, wird unmittelbar anschließend mit einem dreitönigen Rhythmus zum Ausdruck gebracht: Die Drei sind Eins.
Einstimmig folgen: das Thema des Vaters (Grundgestalt), das Thema des Sohnes (Umkehrung des Vorangegangenen, wie zwei Blicke, die sich kreuzen) und das Thema des Heiligen Geistes (das sich vermischt mit dem Gottesthema). „O welch eine Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!“ Diesen Ausruf des Hl. Paulus im Römerbrief hört man zuerst im Positiv in der tiefsten Lage der Klarinette. Danach folgt eine langsame Kaskade von Akkorden wie ein Fächer, der sich schließt. Schließlich ein Diminuendo, das im Pianissimo endet.
Ein zweiter Abschnitt nimmt alle oben genannten Elemente in leicht variierter Form wieder auf.
Dritter Abschnitt: Wir erkennen das Alleluja zu Allerheiligen wieder: Es ist harmonisiert und geprägt von folgenden Worten Jesu: "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid".
Vierter Abschnitt: Vor dem Hintergrund der Voix célestes im Pianissimo erklingt die zarte Einladung, die melodisch die letzten Töne des Alleluja entwickelt. Und Jesus spricht: "Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“ Die Harmonien erheben sich langsam zu einem zutiefst ruhigen diatonischen Himmel, vor dem sich wieder der Ruf der Goldammer abhebt: „O hätte ich Flügel wie die Taube! Wie wollte ich fliegen, bis ich Ruhe fände!“ (Psalm 55, 7)
VI. Dans le Verbe était la vie et la lumière - (Im Wort war das Leben, und das Leben war das Licht)
Erstes Bild: Ausgangspunkt ist ein gregorianisches Thema: das Offertorium von Epiphanias, dem Fest der Erscheinung des göttlichen Lichtes. Das Thema wird einstimmig und ohne Begleitung vorgestellt. Gegenüber dieser schlichten Klarheit hört man im Schwellwerk farbige Akkorde, die auf dem weißgoldenen Licht des C-Dur Sextakkordes enden.
Es folgt ein weiteres gregorianisches Thema, das Graduale von Epiphanias.
Erstes Innehalten auf der Dominante von C-Dur: "Der Sohn, Widerschein der Herrlichkeit des Vaters ..."
Danach das dritte gregorianische Thema, das Alleluja von Epiphanias in hell leuchtenden Fortissimoakkorden. Dann ein weiteres Innehalten auf der Dominante von C-Dur.
Zweites Bild: Dieselben Bestandteile werden mit Veränderung wieder aufgenommen. Fortsetzung des Offertoriumthemas von Epiphanias. Das Graduale von Epiphanias wird weiter durchgeführt. Zum ersten Mal hält die Musik auf C-Dur als Tonika inne. Das Alleluja von Epiphanias setzt eine Quarte höher ein, immer noch fortissimo, aber noch strahlender, und schließt auf der C-Dur Tonika.