Orgelkonzert Bad Driburg
Sonntag, 22. April 2018, 19.30 Uhr
Programm
Johann Seb. Bach Präludium Es-Dur BWV 552 (1739)
(1685-1750)
Kyrie, Gott Vater in Ewigkeit, BWV 669
Christe, aller Welt Trost, BWV 670
Gott heiliger Geist, BWV 671
Allein Gott in der Höh (Trio), BWV 676
Fuge Es-Dur BWV 552
Felix Mendelssohn Partita über 'O wie groß ist des Allmächtigen Güte' (1823)
(1809-1847) Choral
Var. 1: c.f. im Bass
Var. 2: 'Canone'
Var.3: c.f. im Sopran
Joh. Seb. Bach Choralfantasie über 'Ein feste Burg ist unser Gott' BWV 720
Felix Mendelssohn Sonate f - Moll op. 65 Nr. 1 (1844)
(1809 – 1847) Allegro moderato e serioso
Adagio
Andante recitativo
Allegro assai vivace
Die entsprechenden Choräle bzw. Choralzitate werden gesungen vom Vokalensemble 'Coro Piccolo'
unter der Leitung von Kantor Torsten Seidemann.
Orgel: Rudolf Innig
(www.rudolf-innig.de)
Gedanken zur Musik
Im Zusammenhang mit den Feiern zum 200jährigen Reformationsjubiläum veröffentlichte der Leipziger Thomaskantor Joh. Seb. Bach im Jahre 1739 seinen Dritten Theil der Clavier Übung, "bestehend aus verschiedenen Vorspielen über die Catechismus- und andere Gesänge". Anders als bei den Teilen I, II und IV bemerkt Bach im Vorwort ausdrücklich, der 77 Seiten umfassende Band sei "vor die Orgel" bestimmt, zudem wende er sich nicht nur an die "Liebhaber", sondern "besonders an die Kenner von dergleichen Arbeit".
Die 27 Einzelsätze haben in der Vergangenheit immer wieder Fragen nach ihren Ordnungsprinzipien und zu ihrer möglichen Aufführung aufgeworfen, zumal zahlensymbolische Bezüge unübersehbar sind, die vor allem auf die Trinität hinweisen: So stehen Präludium und Fuge in einer Tonart mit drei Vorzeichen und haben jeweils drei Themen, die Kyrie- und Gloriabearbeitungen umfassen zusammen neun (3x3), die Bearbeitungen der sechs Katechismuslieder zwölf Sätze, und insgesamt enthält der Zyklus 27 (3x3x3) Stücke.
In diesem Konzert erklingen die Kyrie- und Gloriasätze (umrahmt von Präludium und Fuge Es-Dur) in der jeweils 'großen Fassung' als ausgedehnte Orgelchoräle für zwei Manuale und Pedal. Sie bilden im Sinne Martin Luthers eine Missa brevis für Orgel, ähnlich den vier 'kleinen Messen' (BWV 233-236), die Bach als Vokalwerke komponierte. Ganz offensichtlich wollte Bach hier exemplarische Orgelwerke vorlegen, Muster-Beispiele für die kompositorischen Möglichkeiten der Choralbearbeitung für Orgel schlechthin. Die drei Kyrie-Sätze sind im alten Stil (Stylus antiquus) komponiert, es sind gewissermaßen Instrumental-Motetten von enormer kontrapunktischer Dichte, in denen kaum eine Note ohne thematischen Bezug zum jeweiligen Cantus firmus ist. Von ähnlich hohem spezifischen Gewicht ist der erste Teil der Tripelfuge, der im Sinne des Trinitätsgedankens symbolisch für Gott als Vater steht. Das Trio über Allein Gott in der Höh und das Präludium Es-Dur hat Bach hingegen im modernen, konzertanten Stil konzipiert. Letzeres erklingt zwar anfangs mit seinen punktierten Rhythmen im festlichen Gewande einer barocken Französischen Ouvertüre, aber gleich das erste Thema weist mit seinen symmetrischen Motivgruppen weit voraus in die Zukunft, man kann es schon als 'Vorder- und Nachsatz' im Sinne Hugo Riemanns hören.
Während Joh. Seb. Bach seine Clavier Übungen noch in Verlegung des Authoris (also auf eigene Initiative und Kosten) herausgab, veröffentlichten im Jahre 1845 gleich vier bedeutende europäische Musikverlage in London, Paris, Leipzig und Mailand die Sechs Orgelsonaten op. 65 von Felix Mendelssohn, ein ungewöhnlicher 'publizistischer Paukenschlag', den es nie zuvor und nie wieder danach in der Musikgeschichte gab, zugleich ein interessantes Indiz für den Wandel von der höfischen zur bürgerlichen Gesellschaft, der inzwischen im Verlaufe von rund 100 Jahren stattgefunden hatte. Diese Art der Veröffentlichung sagt auch etwas über die Reputation Felix Mendelssohns in der Mitte des 19. Jh. aus, den Robert Schumann emphatisch als "hellsten Musiker unserer Zeit" und den "Mozart des 19. Jh." bezeichnet hatte. Mit den sechs Sonaten begann in Deutschland eine neue Epoche der Orgelmusik, die zuvor von Kirche und Liturgie, von Choralbearbeitungen und Fugen geprägt war. Hier verbanden sie sich mit dem Geist seiner Zeit, mit der Sonatenform und dem sinfonischem Stil im Gewande virtuoser pianistischer Technik.
Die Sonate f-Moll op. 65 Nr. 1 ist mit ihren vier Sätzen die ausgedehnteste der sechs Sonaten. Die Formidee des ersten Satzes basiert auf einem gleichfalls in f–Moll stehenden Rezitativ aus der Matthäuspassion von J. S. Bach (O Schmerz, hier zittert das gequälte Herz). In dem breit angelegten Sonatensatz kontrastiert (nach einer zehntaktigen Einleitung) das ernste Hauptthema im Fortissimo und Allegro moderato e serioso mit dem Seitensatz, der im piano den Choral Was mein Gott will, das gescheh’ allzeit zitiert. Wie zur Beruhigung antwortet auf diesen dramatischen Beginn der zweite Satz Adagio in As–Dur mit einem Lied ohne Worte. Der dritte Satz greift den Konflikt des Anfanges wieder auf und stellt in einem Dialog (Andante recitativo) individuelle Stimmen dem kollektiven Fortissimo der Orgel gegenüber. Erst das Finale bringt, verbunden mit einem Tonartwechsel nach F–Dur, die Auflösung dieser Spannungen und führt in virtuosen Passagen zu einer hymnischen Schlusssteigerung, in der Motive aus dem Hauptthema des ersten Satzes, nun nach Dur gewendet, anklingen.
Das Programm wird ergänzt durch zwei Jugendwerke der beiden Komponisten. Man staunt über die Leichtigkeit, mit der schon der 14jährige Felix Mendelssohn die neue musikalische Sprache spricht. Und man fragt vielleicht, warum die Fantasie (im Stile Buxtehudes und der norddeutschen Tradition) des 24jährigen Joh. Seb. Bach über Martin Luthers bekanntestes Reformationslied seine einzige Bearbeitung für die Orgel geblieben ist.
(www.rudolf-innig.de)